Auf den ersten Blick: Grober Ton mit Spuren schneller sicherer Bewegungen der Finger,
die in Eile eine Figur formen. Kleine tanzende, springende, ringende, Figuren.
Keine Verkleidung, keine Kostümierung bringt sie in einen Konsenz. Als gehörten sie sich selbst.
"Sie nehmen den Raum in Besitz mit Bewegungen, deren Radius und Wirkung weit größer ist als
die Figuren selbst", beschreibt es Uwe W. Schneede.
Aber wie denen beikommen. Eine Analyse der Formen und Figuren ? Hilft nichts.
Die Kunstgeschichte zu Hilfe nehmen, - ismen suchen in dem Sinne, sie habe etwas ähnliches
gemacht wie ... ? Falsch. Oder Ästhetische Spielchen mit verschiedenen Bezugnahmen ? Daneben.
Der zweite Blick: Und dann fällt mir die Tänzerin ein, die kraftvoll zum grand jeté vom Boden
aufspringt und für einen kleinen Bruchteil von Zeit im Raum weilt, entlastet vom körperlichen
Handeln. Da ist dann plötzlich klar, wo Sybille Onnenīs "lustige Weiber" verweilen,
die drallen Bäuche, die fülligen Schenkel, einfach im Raum mit ihrem "hier bin ich".
Und ein weiterer Blick: Das Arbeiten der Künstlerin erschließt sich. Schier unbändiger
Gestaltungswille und schöpferische Lust, Offenheit und Leichtigkeit, pulsieren aus den
kleinen Figürchen. Sybille Onnen hat da was von einer Artistin, der die Strukturen der
Menschen und des Lebens wohl bekannt sind, und die sie mit liebevollem Humor zu nehmen
und stets neu auszudrücken weiß. Da wird nichts entlarvt, demaskiert, hingestellt.
Eher eine Fragepostion: So ? Oder so ? Oder doch anders ? Hinweis also, aber nicht
Verbindlichkeit, denn das Bild macht sich der Betrachter letztlich selbst.
Aber jetzt doch noch ein Ausflug in die Geschichte, in die Mythologie.
Der Impuls dazu kommt von den beiden goldenen Springerfigürchen.
In Ovidīs Methamorphosen, im zehnten Buch, wird die Geschichte von Hippomenes und Atalante
erzählt. Atalante, die böotische Königstochter, soll heiraten. Sie, die bisher frei
aufgewachsen ist, sich frei in Wald und Flur bewegen durfte soll sich an einen Mann
binden. Aber sie knüpft eine Bedingung daran. Sie wird nur den heiraten, der sie im
Wettlauf besiegen kann. Verliert der Bewerber, muss er sterben. Atalane weiß um ihr
Lauftalent und das die Bewerber keine Chance haben werden. Und dann taucht da Hippomenes
auf, der sich verliebt und ist bereit den Wettstreit anzunehmen. Er liebt. Weiß aber auch
das sein Lauftalent nicht ausreicht. Also braucht es Tricks. Und dazu verhilft ihm eine
andere Frau, vielmehr eine Göttin: Venus. Drei goldene Äpfel gibt sie ihm, die er im
Laufen fallen lässt, die Atalante verzückt aufhebt und betrachtet und damit Zeit verliert.
So gewinnt Hippomenes und kann seine Liebe heiraten.
Ein mögliche Deutung: Hat Atalante das Spielchen mit den goldenen Eitelkeiten nicht
durchschaut ? Sie, die sich gleichfalls verliebt hat in den Läufer, aber dem Reglement,
dem sie aufgrund ihrer Stellung als Königstochter verpflichtet ist, nicht einfach absagen kann?
Sie verliert das Rennen, und gewinnt so Hippomenes. Wie gesagt, den Standpunkt macht sich der
Betrachter letztlich selbst.
Karl-Heinz Dautermann
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